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 VOM TROST DER BILDER

 Die Donnerstag-Gesellschaft zu Alfter

 Maxi Sickert

Die schwarz-weiß Bilder der Fotografin Käthe Augenstein, die vor dem Krieg die Künstlergemeinschaft um Bertold Brecht fotografiert hatte, zeigen glückliche und festliche Gesichter am Tag der Abstrakten Kunst im Sommer 1947. Auch die Maler selbst haben sich fein gemacht, mit Anzug, weißem Hemd und Krawatte. Nur Hubert Berke trägt seinen Kragen offen, die Augen lachen. Es ist ein besonderer Tag, an dem die festliche Gesellschaft im Schlosspark der Fürstenfamilie Salm-Reifferscheidt zusammen findet. Während die umliegenden Städte in Trümmern liegen, hat sich im Dorf Alfter, im Vorgebirge zwischen Köln und Bonn gelegen, mit Unterstützung des Fürsten eine, aus den aus Krieg und Gefangenschaft zurückgekehrten Malern, Musikern, Kunstwissenschaftlern, und Schriftstellern bestehende Künstlergemeinschaft gebildet, um Vorträge, Konzerte und Ausstellungen zu organisieren. Für jede Veranstaltung war eine schriftliche Genehmigung bei der Alliierten Behörde einzureichen, jeder Besucher, der über die Grenze einer Besatzungszone kommen wollte, musste eine genehmigte Einladung vorweisen können.

An diesem 20. Juli 1947 hatte sich die Donnerstag-Gesellschaft bereits förmlich konstituiert, um den Behörden gegenüber offiziell als Veranstalter auftreten zu können und Anträge zu stellen.

Es war die erste Ausstellung abstrakter Kunst in Alfter, das nach dem Krieg für drei Jahre zum Begegnungsort von Künstlern und Intellektuellen wurde, die hungrig waren nach politischer, literarischer und künstlerischer Information. Die Gäste kamen von weit her, darunter Wissenschaftler, Politiker, Künstler und Schauspieler. Erstmals war wieder ein freier Gedankenaustausch möglich. Es war ein Schlüsselerlebnis, sich mit den Fragen der Zeit auf politischer, wirtschaftlicher, sozialer und künstlerischer Ebene auseinanderzusetzen und Stellung zu beziehen. So erinnerte sich der Kunsthistoriker Eduard Trier: "Es war eine Trümmerwüste in Deutschland, kaum Nachrichten oder Zeitungen, keine Transportmittel, um irgendwo hin zu gelangen."

Wie sehr der Begriff abstrakte Kunst in dieser Zeit als Synonym für eine befreite Kunst stand und zugleich als extreme Provokation empfunden wurde, zeigen Erinnerungen der Künstler selbst, Ausstellungsverbote einer als "die Gesellschaft verhöhnenden Schmiererei" und Artikel aus dem im selben Jahr gegründeten SPIEGEL. (siehe Text Hubert Berke) So füllt sich der heutige Begriff von "Abstraktion" anders als damals, als es sich nicht um die, sich durch die Kunstbereiche ziehende Radikalität einer Ästhetik ging, sondern um Anknüpfung an eine Kunstentwicklung, die durch die diffamierende Kulturpolitik des Nationalsozialismus grausam abgerissen war. Die an der Donnerstag-Gesellschaft beteiligten Künstler waren durch ihre Vorkriegslehrer geprägt, Vertreter der Moderne und noch in der humanistischen Tradition universell denkende Malerprofessoren an den Kunstakademien, wie Paul Klee. Gerade die ersten Arbeiten nach dem Krieg zeigen, wie sehr dieser Einfluss weiterhin präsent war.

Am Tag der Abstrakten Kunst war die Auswahl der literarischen Texte romantisch und dithyrambisch, ohne ästhetische Brüche. Auch die gezeigte Kunst gab sich in ihrer Abstraktion lyrisch und naturverbunden. Der Theaterkritiker Albert Schulze-Vellinghausen hat damals den Tag der Abstrakten Kunst in einem Essay festgehalten (Auszug): "Da ist etwas Heiliges in der Kunst, auch der abstrakten. Die feierliche Menge im Saal des Schlosses, die Einladung mit Zeichnung des dämonisch virtuosen Malers Berke. "Contra Torrentum" (Gegen den Strom) ist der Wappenspruch des Hauses Salm, da die Salme die Flüsse hinauf gegen den Strom schwimmen. Nach dem Diner (Kartoffelsuppe) fanden wir den Saal köstlich verwandelt, etwa 25 kleine, bei aller formalen Aggressivität im Ganzen doch delikate Bilder, schon ob ihrer Formate nicht eigentlich lebensgefährlich."

Der Fürst und die Fürstin verschickten die Einladungen und aktualisierten die Gästelisten. Für Gäste außerhalb des Sperrgebiets Alfter mussten Sondergenehmigungen bei der Polizei beantragt werden. Trotz schwieriger oder nicht vorhandener Transportbedingungen kamen zu einigen Veranstaltungen bis zu 200 Gäste. Die Bezahlung während der Zwangsbewirtschaftung bestand aus 20 Reichsmark und 5 Gramm Fettmarken.

Der "Tag der Abstrakten Kunst" am 20. Juli 1947 war die erste, mehrere Künste umfassende Veranstaltung nach dem Ende des 2. Weltkriegs in Deutschland. Das Programm dauerte den ganzen Tag und wurde eröffnet durch den Vortrag von Dr. Werner Haftmann: "Der Künstler in der Zeit". Anschließend las der Schriftsteller Rudolf Hagelstange eigene Texte und Fritzleo Liertz aus Kafkas "Erstes Leid" und Rilkes "V. Duineser Elegie". Die Pianistin Tiny Wirtz spielte die "Sonate 3" für Klavier von Paul Hindemith.

Nach dem Essen wurde die Ausstellung eröffnet. Sie umfasste 32 Arbeiten, Gemälde, Monotypien, Aquarelle und Druckgrafik von Eugen Batz, Hubert Berke, Joseph Faßbender, Georg Meistermann, Erich Mueller-Kraus und Hann Trier. Abschließend gab es ein Kindertheater im Schlosspark und Hermann Schnitzlers kontrovers diskutierten Lichtbildervortrag "Picasso in uns selbst".

Eine weitere bedeutende Veranstaltung war die szenische Lesung zu Jean Paul Sartres Theaterstück Die Fliegen am 15. Februar 1948, mit Schauspielern der Kölner Bühnen. Sartres in diesem Widerstandsdrama Les Mouches (Die Fliegen) entwickelter Freiheitsbegriff steht in engem Zusammenhang mit seiner Existenzphilosophie, wie er sie gleichzeitig in seinem philosophischen Hauptwerk "Das Sein und das Nichts" formuliert hatte: Der Mensch, der sich nicht gegen seine Unfreiheit wehrt. Das Stück wurde 1943 in Paris uraufgeführt und zum ersten Mal in Deutschland am 7. November 1947 in Düsseldorf.

Berke, Faßbender und Trier gestalteten für die szenische Lesung rußgeschwärzte Kratzbilder auf Glasplatten, die während des Vortrags über den Schauspielern an die Wand des Schloßsaals projiziert wurden. Die Regie der Lichtbildprojektionen übernahm Hann Trier, der bereits vor seiner Übersiedlung nach Bornheim als Bühnenbildner in Nordhausen (Thüringen) gearbeitet hatte. Drei Holzschnitte der Maler wurden vor der Aufführung als Eintrittskarten ausgegeben, eine Mappe mit 9 Holzschnitten wurde den Gästen zum Kauf angeboten. Es meldeten sich so viele Besucher an, dass die Lesung gleich zweimal am selben Tag aufgeführt werden musste.

Wernher Witthaus schrieb in der Rheinischen Zeitung am 21. Februar 1948: Die Schauspieler saßen in Anzug und Kleid unserer Tage an einem Tisch, ganz hingegeben an ihre Rolle. Hoch über ihren Köpfen leuchteten die Bilder auf. Dieser Angriff auf die "Fliegen" war ein "Sturzflug in Richtung Abstraktion", in diesem Fall ebenso paradox wie angebracht.

Später plante Hermann Schnitzler nach dem Vorbild des "Tag der Abstrakten Kunst" für Mitte 1948 einen "Tag des Surrealismus", mit Texten von Baudelaire, Rimbaud, Apollinaire, Aragon, Breton und Eluard, der jedoch nicht umgesetzt wurde.

In den folgenden Jahren kam es durch die sich bessernde wirtschaftliche Lage auf Grund der Währungsreform 1948, zum Wiederaufbau der Museen und Kunsthochschulen. Die in den Kellern des Schlosses ausgelagerten Kunstwerke konnten wieder nach Köln zurück, wie auch der Kölnische Kunstverein. Die Maler unterrichteten später selbst als Professoren an den Hochschulen, wie Hann Trier an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin, Joseph Faßbender an der Kunstakademie Düsseldorf und Hubert Berke an der Technischen Hochschule Aachen.

Die Donnerstag-Gesellschaft verschickte von Februar 1947 bis April 1950 insgesamt 34 Einladungen zu Lesungen, Vorträgen, Diskussionen, Konzerten und Ausstellungen. Zum letzten Mal lud die Donnerstag-Gesellschaft am Mittwoch, den 26. April 1950 zu einem Konzert mit dem Cellisten Ludwig Hölscher ein.

Erinnerungen von Brunhilde Berke:
Unsere Tage in Alfter

(Aus Sabine Fehlemann/Werner Schäfke (Hg):Hubert Berke "Masken im Sumpf" Kölnisches Stadtmuseum, Köln 1992)

Den Krieg hatten wir überstanden. Unser Freund, der Rechtsanwalt Willi Weber, holte Eva und mich nach Alfter, wo er ein möbliertes Zimmer für uns besorgt hatte. Im Hof von Webers Anwesen, dem Gasthaus "Spargelweber", wo Eva mit den Kindern spielte, sah ich den Stall mit einer einigermaßen heilen "Knechtestube". Die wurde gekälkt und ich bezog sie mit Eva.

Nach einigen Monaten kam Hubert aus der Gefangenschaft und die Freude war groß! Die Jahre im Alfterer Stall waren sehr schwer. Die Wände waren feucht und die Kleider schimmelten im Schrank. Die Eiskristalle funkelten an den Wänden und die Obstsaftflaschen zerplatzten vor Frost. (…)

Nun konnten wir nachholen, was wir während der Kriegsjahre versäumt hatten, da man in den Kellern, Bunkern und Wäldern zum Nichtstun verdammt war beim Warten auf den Fliegeralarm. Für Hubert waren es sehr produktive Jahre.

Nach zwei Jahren hatten Webers eine kleine Küche, Wohnzimmer und ein Bad dazu gebaut, so dass unser Leben etwas leichter wurde. Willi war groß im Organisieren und wir machten Schwarzkäufe, Kaffee, Mehl, Zucker, Brot, Gemüse usw. So kochte und buk ich täglich für alle Besucher. (…) Da inzwischen unser Freund Franz Zöllner, Pianist und Kapellmeister, aus der Gefangenschaft gekommen war, der sich am anderen Ende des Stalles den Hühnerstall zurecht machte, veranstaltete ich mit ihm einen Abend, an dem ich Gedichte las und er Klavier spielte. Ich las E.A. Poe, Else Lasker Schüler, Paul Verlaine, A. Rimbaud und andere. Das Publikum war begeistert und Willi stiftete anschließend Wein. Das war Ende 1946.

Bald darauf riskierte ich den zweiten Abend, an dem ich tanzte nach Musik von Bach, Froberger, Schumann und Brahms. Und Franz spielte . Toni Feldenkirchen und Hermann Schnitzler kamen zu spät. Der Galerist Rusche sagte ihnen, sie hätten etwas Schönes verpasst. Da musste ich die Sarabande von Bach noch einmal tanzen. (…)

Die Abende fanden im Gasthaus Weber statt. Willi sagte nach dem zweiten Abend: "Das macht so viel Freude", dass er vorschlug, auch einmal einen Vortragsabend zu veranstalten, "und wenn ich ihn aus meiner eigenen Tasche bezahlen muss".

Zusammen mit seinem Freund Dr. Feldenkirchen und Prof. Schnitzler überlegten sie, Prof. Otto H. Förster vom Wallraf-Richartz-Museum einzuladen zu Webers ins große Wohnzimmer, in das sogenannte "Sälchen", der dort dann einen Diavortrag hielt "Trost aus Bildern". Zu diesem Abend wurde auch der Fürst von Alfter Salm - Salm - Reifferscheidt eingeladen. Es wurde ihm klargemacht, dass das Interesse an solchen Abenden so groß wäre, dass nur der Platz für die vielen Besucher fehle. Er erlaubte daraufhin, dass die nächsten Veranstaltungen in seinem Schloß stattfinden könnten.

Da dieser Tag ein Donnerstag war, wurde die Gesellschaft danach benannt. And dem Abend waren auch die Maler Faßbender und Trier dabei, die in Bornheim untergekommen waren. Außerdem gehörten der Arzt des Dorfes, Dr. S. Schwartmann, der Lehrer Budeus, Franz Zöller und der Bauer Schmitz dazu, natürlich Weber, Feldenkirchen, Schnitzler, der Fürst und Berke. Das war Anfang 1947. Der Tag der Abstrakten Kunst fand großen Beifall. Werner Haftmann sprach zum Thema "Der Künstler in der Zeit" und Hermann Schnitzler über "Picasso in uns selbst". Zur Ausstellung steuerten die Gäste Meistermann und Batz auch Bilder bei.

Am Tag der Abstrakten Kunst war unser Sohn Michael gerade zwei Jahre alt, so dass ich nach den Vorträgen in unsere Wohnung ging. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war Hubert nicht da. Ich ging erschrocken herüber zu Webers. Da saß und lag die Männergesellschaft nach heißen Diskussionen und gutem Wein von Willi noch immer in Webers Wohnzimmer, total abgekämpft.

Der zweite sensationelle Abend war die Aufführung von Sartres "Fliegen". Die Schauspieler saßen hinter einem Pult und lasen ihre Texte. Berke, Faßbender und Trier hatten Illustrationen gemalt, die über den Schauspielern, passend zum Text, auf die Wand projiziert wurden. Sie kamen verschwommen, wurden deutlich und vergingen wieder. Auch gab es von den drei Malern Holzschnitte zum Programmheft und eine Federzeichnung von Berke. (…)

Die Begeisterung an den Abenden war so groß, dass wir planten, eine Landakademie zu bauen. Spontan wollte der Fürst Land zur Verfügung stellen. Der Kölner Architekt Rümpler hatte Pläne gemacht mit Ateliers, Vortragssaal, Gästezimmer, usw.

Da verkündeten Schnitzler, Faßbender und Trier während eines Essens beim Fürsten, die Donnerstag-Gesellschaft eingehen zu lassen. Schnitzler hielt die "Grabrede". Die Besucher hätten ja kein Geld. (…) Die Trauer aller Gäste war groß, als sie das hörten. (…)

Die Vortragenden bekamen selten Geld. Sie waren überglücklich über einen Eimer Rübenkraut, Gemüse, Obst und etwas "Knolli Brändi", ein in Alfter verbotenerweise gebrannter Schnaps. Vor Beginn der Veranstaltungen stand am Eingang ein Körbchen, wer konnte, legte etwas hinein. Leider kamen die Diplomaten aus Bonn, die der Fürst eingeladen hatte, nicht an unserem Körbchen vorbei, weil sie aus der fürstlichen Wohnung direkt in den Vortragssaal kamen.


Interview mit der Pianistin Prof. Tiny Wirtz
(1924), die viele Konzerte in Alfter gegeben hat, auch am Tag der Abstrakten Kunst

Maxi Sickert

Köln, 2010. In ihrem Haus scheint die Sonne in den Salon der 86-jährigen Grande Dame des kompromisslosen und hochvirtuosen Klavierspiels, die als erste nach dem Krieg zeitgenössische und avantgardistische Musik aufführte. Während das Publikum wütend den Saal verließ, wurde sie von den Künstlern begeistert gefeiert. Die beiden großen schwarzen Flügel sind übersät mit Noten und Büchern. Auch in den Regalen stehen die Bücher in mehreren Reihen bis an die Zimmerdecke. Die meisten ihrer Dokumente hat sie bereits nach Berlin gegeben, in ein für sie eingerichtetes Archiv in der Akademie der Künste. Jetzt holt sie ihre Erinnerungsbücher, die sie seit 1945 führt. Mit Zeitungsausschnitten über ihre Konzerte, Kritiken und Ankündigungen und immer wieder Zeichnungen von befreundeten Künstlern. Eine frühe Zeichnung zeigt sie beim Spielen und die Zuschauer mit offenen Mündern und entsetzten, wütenden Gesichtern. Auch die Einladung und das Programm zum Tag der Abstrakten Kunst vom 20. Juli 1947 sind eingeklebt.

Frau Wirtz, wie kam es damals zu Ihrer Teilnahme am Tag der Abstrakten Kunst?

Sie müssen sich die Situation vorstellen, es war nach dem Krieg und Köln lag in Trümmern. Außer an der Universität gab es keinen Konzertraum. Damals war das Schnütgen Museum für Alte Kunst in Alfter ausgelagert, im Vorgebirge zwischen Köln und Bonn. Aus dieser Gegend stammte auch Toni Feldenkirchen, der als damaliger Leiter des Kunstvereins, die Auslagerung veranlasst hat. Damals wohnten Faßbenders auch im Vorgebirge. Sie hatten dort Unterschlupf gefunden, zuerst seine Frau, denn er war ja eingezogen. In Köln war es zu gefährlich, denn die großen Angriffe kamen ab 1941 an. Die Familie Berke kam nach dem Krieg.

Alle kamen nach Alfter wegen dem Rechtsanwalt Willi Weber, auch Faßbender und Berke. Jetzt ist dort alles wunderbar renoviert, man erkennt es nicht wieder. Ich war vor einigen Jahren nochmal da.

Nachmittags saßen alle zusammen, Berke, Weber und Prof. Schnitzler, der mit seiner Familie im Schloss untergekommen war. Berkes wohnten über dem Stall der Wirtschaft, wie man das damals nannte. Es war ganz primitiv, die Holzstufen waren kaputt, unten liefen die Hühner. So war damals die Situation als nach dem Krieg alles zerstört war: die ganzen Städte, Kunst fand nicht mehr statt. Nur in der Aula der Universität, wo ich schon im Dezember 1945 mit Günter Wand und dem Kölner Gürzenich Orchester ein Bach-Konzert gespielt habe und im Januar 1946 ein Beethoven-Konzert.

Die Donnerstag-Gesellschaft tagte beim Fürsten im Salon, in dem bestuhlt etwa fünfzig Personen Platz fanden. Die Besucher kamen zu den verschiedenen Veranstaltungen aus dem ganzen Ruhrgebiet, obwohl es so gut wie keine Verkehrsanbindungen gab. Die Rheinbrücken waren zerbombt und die Leute mussten von der anderen Rheinseite mit dem Bötchen kommen oder über die Pontonbrücke, die die Amerikaner errichtet hatten. Wer nach Alfter wollte, hatte meistens ein altes Auto, das dann mit Holzvergaser fuhr. Das wurde mit Kohle angetrieben und die Gase entwichen einem Ofenrohr. Ich glaube es konnte gerademal 10km/h fahren. Aber sie waren mobil!

Die Donnerstag-Gesellschaft hat viele sehr gute Veranstaltungen gegeben. Es existiert auch eine Liste der Mitglieder, die der Fürst akribisch geführt hat. Aus ihr wird ersichtlich welche bedeutenden Mitglieder die Donnerstag-Gesellschaft hatte. Es gab Ausstellungen, szenische Lesungen und Musikabende. Auch ich habe dort ein paarmal gespielt.

Gab es einen künstlerischen Austausch?

Damals waren viele Konzertbesucher Maler. Während die Musiker sich eigentlich kaum für bildende Kunst interessierten, haben sich die Maler immer für Musik interessiert. Das war ganz merkwürdig.

Welche Musik wurde in Alfter aufgeführt?

Das war ganz verschieden. Ich habe die 3. Klaviersonate von Hindemith aufgeführt - als Erste, die ihn in Deutschland spielte, noch vor Erdmann. Bei einer anderen Gelegenheit gab ich dann auch einen klassisch-romantischen Klavierabend mit einem modernen Stück. Vielleicht habe ich sogar schon etwas von Alois Zimmermann gespielt, dessen Werke ich uraufgeführt habe, das erste war 1946. An dem Tag hatte ich morgens meine Aufnahmeprüfung für die Hochschule und abends gab ich den Klavierabend mit - für damalige Verhältnisse- moderner Musik.

Wie haben Sie den Komponisten Alois Zimmermann kennengelernt?

Das ergab sich durch Heinrich Lehmacher, den Lehrer von Zimmermann. Er wünschte sich, dass ich die modernen Komponisten aufführe, die im Dritten Reich verboten waren. Stellen Sie sich vor, Scriabin, Ravel Debussy - alles war verboten. Lediglich Studentenarbeiten wurden aufgeführt und diese Konzerte fanden in der Universität statt. Ich habe das alles dokumentiert, 1998 wurde für mich in der Akademie der Künste in Berlin ein Archiv eingerichtet und da geht alles hin, was mit meiner Musik zu tun hat.

Der Kompositionslehrer von Zimmermann war Heinrich Lehmacher. Heinrich Lehmacher begegnete mir im September 1945, als ich mit dem Fahrrad 19 km zu meinem Lehrer Hans Anwander fuhr, der ebenfalls ausgebombt war und außerhalb Kölns am Sulzgürtel Unterschlupf gefunden hatte.

Bis zu meinem 7. Lebensjahr hatte ich Unterricht bei unserem Dorforganisten, bis ich zu Anwander kam. Nun wollte ich sehen, wie Köln jetzt aussah und fuhr zum alten Opernhaus. Dort traf ich Heinrich Lehmacher, bei dem ich im Seminar an der Musikschule gewesen war. Er wusste, was ich konnte, schon mit 18 Jahren im September 1942 hatte ich die Musiklehrerprüfung mit Auszeichnung bestanden. Auch Lehmacher war ausgebombt und wohnte im Westerwald. Er nahm mich direkt mit zu Günter Wand, der oben im Opernhaus sein Büro hatte. Ich war 21 Jahre alt, hatte gerade meine erste Klavierstunde nach dem Krieg gehabt und auch keinen Flügel zu Hause. Wir hatten ihn mit meinen sämtlichen Noten im Bergischen ausgelagert.

Wand sollte neuer Generalmusikdirektor werden. Ich kam also in den Raum, da saßen zwei Herren und ich spielte Beethoven und Chopin. Wand sagte, Sie hören von mir, ich rufe sie an. Als ich antwortete, Sie können mich nicht anrufen, ich habe kein Telefon zuhause, erwiderte er, dann schicke ich Ihnen ein Telegramm. Das kam tatsächlich ein paar Wochen später im Dezember mit dem Angebot, mit ihm Bach D-Moll zu spielen. Damals war es üblich, morgens bei der Generalprobe mit Orchester zu spielen. Ich hatte noch nie mit Orchester gespielt, ich war auch noch nie in einem Sinfoniekonzert gewesen - das gab es ja nicht während des Krieges.

Wir saßen in der Aula und die Musiker konnten nicht spielen, denn sie hatten eiskalte Finger. Und die Bläser konnten nicht blasen, weil alles gefror. Es war ja nicht geheizt, es gab keine Fensterscheiben, nichts. Da sagte Wand, ja meine Herren, das Konzert kann heute Abend nicht stattfinden. Es sollten zwei Abende sein, Montag und Dienstag, wie das immer war und auch jetzt noch ist mit dem Gürzenich-Orchester. Wir machten einen Aushang, das Konzert fällt wegen Kälte aus und wird bei der nächsten Wärmeperiode nachgeholt.

Abends kamen dann die Leute von der anderen Rheinseite mit kleinen Booten oder über die Pontonbrücke. Wer kein Fahrrad hatte, kam zu Fuß. Die meisten Autos waren während des Krieges eingezogen gewesen. Leider mussten alle wieder nach Hause gehen und das Konzert fand zwei oder drei Wochen später statt, vor vollem Saal, auch noch im Dezember, ein paar Tage vor Weihnachten.

Im Januar habe ich mit Wand das B Dur Konzert von Beethoven gespielt, und bis 1953 haben wir jedes Jahr Konzerte gegeben. Wir spielten die Erstaufführung von Hindemith, "Vier Temperamente". Walter Gieseking spielte das Stück vier Wochen später in Frankfurt. Wand sagte "er hat sie vom Blatt gespielt, du konntest sie auswendig".

Am Abend des Beethoven Konzerts gab Lehmacher mir die Noten von Zimmermann für eine Uraufführung anlässlich des "Werbekonzerts für Neue Musik", Es sollte an dem Abend stattfinden, an dem morgens meine Aufnahmeprüfung stattfand. Es gab auch noch einen katholischen Pastor, der seine Gemeinde zusammen getrommelt und dann auf einem kleinen Lastwagen nach Köln gefahren hatte - es musste ja Publikum her! Schließlich standen ganz viele Leute vor dem verschlossenen Hörsaal IV. Auch Heribert Eimert, der schon Anfang der 20er Jahre ein Buch über Atonale Musiklehre veröffentlicht hatte und bis zu seiner Pensionierung der maßgebliche Kritiker in Köln war. Eimert hat Stockhausen zum WDR geholt, in sein Elektronikstudio, das er danach an Stockhausen weitergegeben hat.

Eimert kam zu mir und stellte fest, dass ich eiskalte Finger hatte. Es war nicht geheizt und alle warteten schon eine Stunde. Es stellte sich heraus, dass dort gerade die Stadtverordnetensitzung tagte und es würde mindestens noch eine Stunde dauern. Eimert hat uns alle nach Hause geschickt und als am nächsten Abend, als das Konzert stattfand, waren doppelt so viele Leute da.

Seit diesem Abend trug ich den Stempel "Interpretin für Neue Musik", was überhaupt nicht zutraf, denn in diesem 46er Jahr spielte ich auch überall Schumann-Konzerte und Beethoven. Es war damals ungeheuerlich, dass jemand moderne Musik spielte, denn während der Nazizeit war niemand mit avantgardistischer zeitgenössischer Musik in Berührung gekommen. Doch da Anwander diese Noten besaß, hatte ich bei ihm jedes Mal wenigstens ein modernes Stück studiert.

Wie haben Sie die Maler kennengelernt?

Die Maler kannten mich, weil sie immer in meine Konzerte kamen. Sie waren damals geistig viel weiter als die Musiker. Die Musiker haben randaliert, wenn sie ein modernes Stück spielen sollten und die Zuhörer auch. Als Wand damals zum ersten Mal Hindemith aufführte, schlug das Publikum die Türen und ging raus. So ist das gewesen! Wand drehte sich daraufhin nur um und sagte, meine Damen und Herren, ich denke, dass sie das Stück vielleicht noch nicht verstanden haben, wir spielen es nochmal.

In einem Artikel stand, dass Ihr Klavierspiel selbst als Kunstwerk empfunden wurde, als "Plastik musikalischer Gestaltung". Hatte das Abstrakte in der Kunst Auswirkungen auf Ihre musikalische Interpretation?

Nein, ich spielte ja von vorneherein plastisch, damit hatte die Malerei nichts zu tun. Ich hatte bereits meine Persönlichkeit, sonst hätte ich ja nicht mit 20 Jahren schon bei Wand gespielt. Und meine Klarheit habe ich mein ganzes Leben lang behalten.

Wie endete die Zeit in Alfter?

Nach der Währungsreform war die letzte Veranstaltung. Vorher wurde noch mit Essensmarken bezahlt, für Brot, Fett und Fleisch. Aber der Zuspruch war groß. Es waren ja bedeutende Schauspieler, die kamen, um ihre Lesungen zu machen.

Wir gründeten anschließend eine Werkstatt in Köln und jeden Monat gab es im Hörsaal IV der Universität ein Konzert, wo wir neue Musik zur Diskussion stellten. Ich habe gespielt und Zimmermann hat erklärt, das war 1951. Wenn die Leute schon bei Hindemith mit den Türen schlugen, kann man sich vorstellen, wie sie auf Zeitgenossen reagierten. Obwohl die aufgeführten Stücke, bereits vierzig Jahre alt waren.

Von 1955-57 waren Sie in Paris und sind in dieser Zeit nicht aufgetreten.

Nein. Ich wollte den Stempel "Interpretin für Neue Musik" nicht mehr haben. Ich war die einzige, die in Deutschland zeitgenössische moderne Musik spielte und das war damals für die Leute ein Horror. Es war egal, wie gut ich Beethoven, Schubert und Brahms spielte. Diese Einschränkung wollte ich nicht mehr.

Zu der Zeit erhielt ich ein Stipendium vom Kulturkreis der deutschen Industrie, mit dem Geld ging ich nach Paris. Ich hatte bisher kaum gehört, wie andere spielen, ich war ja nie woanders gewesen. In Paris habe ich wirklich große Interpreten und phantastische Dirigenten gehört, das war eine Erweiterung meines Horizontes. Als ich zurück kam, hatte ich das Etikett nicht mehr. Inzwischen gab es neue Interpreten auf der Szene.

Den Malern wurde später vorgeworfen, Ihre Kunst würde sich zu wenig gesellschaftlich positionieren. Günther Grass, zu der Zeit Präsident der Akademie der Künste, kritisierte die Abstraktion und das Informel der Nachkriegskunst in einer Rede vom 6. Mai 1985 als "Wirklichkeitsflucht" und "Unverbindlichkeit". Am 10. Mai 1985 wurde seine Rede in der ZEIT unter der Überschrift "Geschenkte Freiheit - Versagen - vertane Chancen" veröffentlicht. Wie sehen Sie das? Könnten für Sie Konzerte ein Forum sein für politische Ideen?

Ich denke gar nicht daran. Kunst hat mit Politik nichts zu tun, nur mit Können.


Die Folgen

Nach dem Krieg hatte Deutschland seine Künstler verloren. Ihre Bücher waren verbrannt, ihre Kunst und Musik als "entartet" diffamiert und verboten worden. Unzählige Künstler und ganze Schulen, wie das Bauhaus, hatten das Land verlassen.

In einer Tagebuchnotitz des damals 56-jährigen Malers Willi Baumeister vom 30. Oktober 1945 heißt es: "Das Jahr 1945 brachte nicht die allgemeine künstlerische Wiedergeburt in Deutschland, wie sie sich 1919 ereignete. Der Elan der Schaffenden war durch die vielen Jahre der gründlichen Irreführung und Einschüchterung gehemmt. Die Jugend hatte keine echte zeitgemäße Kunst gesehen, Klee und Kandinsky waren im Ausland, Schlemmer in Deutschland verstorben, Kirchner hatte sich in der Schweiz erschossen…"

Die Gegenständlichkeit war durch ideologischen Missbrauch in Verruf geraten. Die Abstrakten orientierten sich an Baumeister, innere Landschaften wurden ungegenständlich dargestellt. 1950 veranstaltete Alfred Hentzen, damaliger Direktor der Kestner-Gesellschaft und späterer Direktor der Hamburger Kunsthalle, in Hannover eine Ausstellung mit dem Titel: "Der antike Mythos in der neuen Kunst. In den Jahren 1947-49". In den humanistischen Idealen sah man nach dem Zweiten Weltkrieg eine Möglichkeit, die kulturelle Krise zu bewältigen.

1955 kuratierten Arnold Bode und Werner Haftmann die erste documenta in Kassel mit der Präsentation von neuer deutscher Malerei und Plastik. Der Eintritt kostete damals 1 DM. Als fünf Jahre später wieder die Abstrakten gezeigt wurden, gab es bereits Kritik. Von "Manierismus" war die Rede und die Inhalte wurden infrage gestellt.

Als sich 1985 das Datum "40 Jahre Deutsche Kunst" anbot, meldete sich neben Günther Grass auch Dieter Honisch zu Wort, in dieser Zeit Direktor der Neuen Nationalgalerie. In dem Katalog "Kunst in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1985" beschreibt er die Abstraktion nach 1945 als Wirklichkeitsverlust und die danach erfolgte Rückkehr zur Gegenständlichkeit als Illusionsverzicht. "Niemand wusste, was Kunst eigentlich ist, die Künstler selbst nicht, denn sie beschäftigten sich weitgehend nicht mehr mit der Einlösung von Vorstellungen davon, was Kunst einmal war, sondern mit der Einlösung von Wirklichkeit. (…) Die Künstler wollten wissen, was das Kunstwerk zu leisten im Stande war und so orientierten sie sich nicht an den Erwartungshaltungen des Publikums, sondern strengten eigene Überlegungen an. (…) Der nicht mehr manipulierbare Künstler setzte seine allein im Kunstwerk gefundene Identität einer auf ganz andere Ziele gerichteten Gesellschaft entgegen und auch den Kräften, die im Kunstwerk noch ein beliebiges Transportmittel fremder Vorstellungen sahen.

Es ist dies das Ergebnis eines Traditionsschwundes und der Suche nach Identität. Die Integration der Künste in die Gesellschaft war nicht nur ein ästhetisches oder soziologisches, sondern auch ein soziales Problem geworden."

Nach dieser Auseinandersetzung waren die Begründer der Zweiten Generation der Moderne und des rheinischen Informel, vor allem Hubert Berke, Joseph Faßbender, Hann Trier und Eugen Batz, fast in Vergessenheit geraten. Die Donnerstag-Gesellschaft und auch die Gruppen "Zen 49" und "junger westen" standen für eine Kunst im Aufbruch. Gerade die heftigen Debatten um diese Kunst, die nicht radikal war, sondern lyrisch und nach innen gewandt, machen deutlich, wie wichtig sie für nachfolgende Künstlergenerationen war. Die ausgewählten Arbeiten zeigen die fast poetische Zartheit, mit der die Maler sich ihrem Ausdruck genähert haben und auch wie die Künstler selbst trotz ihrer unterschiedlichen Ansätze am Anfang zu ähnlichen Ergebnissen gekommen sind.

Text aus dem Buch „DONNERSTAG-GESELLSCHAFT 1947-1950“
Publiziert 2010 von der ZELLERMAYER Galerie Berlin, Carsta Zellermayer


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