Urerfahrung und
Imagination
Heimo Fette
Vor
zwei Jahren sahen wir Arbeiten Mutsuos im Japanischen Palais in Dresden.
Faszinierte uns dieser pointierte Brückenschlag zum Fernen Osten,
so war es auch die magische Wechselwirkung von Werk und den – in ihrem
ruinösen Zustand geradezu „pompejanisch“ anmutenden – Innenräumen,
die das Archetypische des Verletztseins assoziieren ließen: Gesten
der Sehnsucht nach dem Gestern sowie die Fragwürdigkeit der Vollendung.
Mutsuo Hirano hat seine Wurzeln
in einer uns fremden Kultur auf der anderen Seite
der Weltkugel und doch hat er seine Prägung hier in Europa erfahren,
wo er nun schon mehrals die Hälfte seines bisherigen Lebens verbracht
hat. Spurensuche im Treibsand der Zeit: das Ursprungsland Japan mit all
den Erinnerungen: nur was diese bewahren, ist wesentlich von Dauer, „wie
Knetmasse“ (Mutsuo) und lässt sich formen wie Ton, ehe er zu Terrakotta
erstarrt? Arbeiten in Ton sind zu seinem ureigensten Metier geworden –
sicherlich auch angeregt durch die Zeugnisse etruskischer Tradition im
jetzigen Lebens - und Arbeitskreis seiner neu gefundenen Heimat.
Das Aufwachsen in der japanischen
Großfamilie – in einer überschaubaren Welt, die
man heute nur noch in Bilderbüchern wiederfinden kann -, die Zugehörigkeit
zu einer bestimmten Religion und ihren Dogmen schienen in der Kindheit
Halt und Haltung zu bieten. Aber Mutsuo muss sich früh als Außenseiter
erkennen: so werden für ihn zuerst Kritzeleien, sodann Zeichnungen
zum Ausdrucksmittel. In der Pubertät wendet er sich hin zu den Meisterwerken
der Bildenden Kunst und Literatur Europas. Das nun bedeutet auch Abschied
vom Gestern. „Erinnerungen muss man haben, aber vergessen können,
wenn es zu viel wird.“
Hier nun im Würzburger
Dombereich ist
unter den aktuellen Werken auch thematisch Beziehungsvolles zu finden:
Prophetenköpfe, Statuetten von Tempelhüterinnen, ein Auferstehender
- als Attribute finden sich Dornenkrone und rostige Nägel. Bemalte
Köpfe nach innen schauend, bisweilen wie Totenmasken, sind Symbole
allgemeiner spiritueller Versenkung und Selbstkasteiung, Selbstfindung,
gar Demut? Die objects trouvés: Ketten, Kabel, ein Lampendetail,
Spielzeugschlange und Maske aus Plastik, Maschendraht vergoldet und zur
Haube geformt – sie werden hinterfragt aus dem Banalen erlöst und
zu Kultischem um funktioniert.
Erinnerungen an die Kindheit
tauchen auf, an die japanische Tradition der „Gartenkränze“, an Macht
und Magie des Priesters. Erinnerung, das
ist auch „Ausgeburt des Zwanges und der Not „Benjamin“, ein morbider und
zerbrochener Kanon – aus Desozialisation und Ent – Täuschung ist hier
das Neue geboren. Medusenhafte Tempelhüterinnen aus hell gebrannten
Ton – Entwürfen für Meditationsfiguren – bisweilen mit der Gabel
verletzt und mit gefundenen Materialien kombiniert: verglühtes Eisen,
Hörner und Kunststoff, Knöpfe und Kunstblumen, Schraubenschlüssel
und Reklamedinge ....: Synthese aus gesuchter Form und Zu – Fall. Bei einer
weiteren Gruppe von Objekten arbeitet Mutsuo Hirano aus vorgefundener Form
in Stein und Holz, und bedient sich dabei der Gegensätze von leicht
und schwer, hohl und massiv.
Zum Thema „Stadt“ finden
wir Figuration aus Maschendraht und Wolle, Ästen und Scherben – eine
minimalistische „Weltausstellung“, die den Balanceakt von der Laubhütte
bis zum Turm zu Babel wagt!
Zwingen wir den Künstler
nicht zum Maskenspiel in eine exotische Rolle, sondern begreifen wir Ihn
eher als Wanderer zwischen den Welten: all die inhaltlichen und formalen
Bezüge werden spielerisch oder ironisch verarbeitet zu Metamorphosen.
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