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MALEN
– EIN LEBENSZEICHEN |
"BLUE" Bilder einer Ausstellung |
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Ausstellung
Zellermayer Galerie Berlin
3.März
– 7. April 2001 |
MALEN
– EIN LEBENSZEICHEN
Anmerkungen zu den Berliner
Bildern von Clinton Storm
Joachim
Herten
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„Wer hat Angst vor Rot,
Gelb und Blau?“ hat der amerikanische abstrakte Expressionist Barnett Newman
die Betrachter seiner großformatigen Bilder gefragt, indem er den
Bildern diese Frage als Titel mitgab. |
etritt
man Clinton Storms Atelier oder einen Ausstellungsraum, in dem Arbeiten
dieses amerikanischen Malers präsentiert werden, so wird dem Betrachter
schnell deutlich, dass der Künstler weder vor Rot noch vor Gelb oder
schon gar nicht vor Blau Angst hat, dass er weder kräftige Farben,
noch große Formate scheut. Zu derartigen allerersten Eindrücken
gehört auch die Beobachtung, dass Storms Bilder zumeist, ohne monochrom
zu wirken, von einer starken Hauptfarbe dominiert sind, die in mehreren
Varianten aufscheint, nur gelegentlich mit einer anderen Farbe kontrastiert.
Auch fast weiße, und gerade deshalb wunderbar lebendige Bilder gibt
es... |
Tritt man näher an
die ungerahmten Farbfelder heran, zeigen sich Indizien für die Arbeitsweise
des Malers. Die
Farbe, - Acrylfarbe, die flüssiger ist und leichter als Ölfarbe
– ist flächig mit dem Pinsel aufgetragen. Pinselstriche, als ruhiger
Auftrag oder als heftige Aktion, sind nur selten und dann sehr bewusst
sichtbar. Gelegentlich gibt es, durch die dünnen Lasuren hervorgerufen,
nicht korrigierte Tropfenverläufe. Unebenheiten in der ruhigen Fläche
verdanken sich der normalen menschlichen Handbewegung, die ja nicht von
der Präzision einer Maschine ist, oder der Unebenheit des Bilderträger-Materials,
die hier und da auch dazu führt, dass kleine Stellen ohne Farbe bleiben
und dadurch das Trägermaterial ansichtig wird. Gerade bei einigen
großen Bildern aus den Jahren 1989/99 ist das Trägermaterial
Leinen oder Jute, die beide gegenüber Baumwolle dank ihrer stärkeren
Struktur mehr Materialität ausstrahlen, die Sinnlichkeit des Bildes
erhöhen. Der Mal–Untergrund ist zumeist mit Ölkreide vorbehandelt. |
as
dem Fernblick zunächst als eine Tendenz zur Entsubjektivierung der
Bildgestalten erscheint, differenziert sich bei genaueremHinsehen. Das
malende Subjekt und der Schöpfungsprozess, der zu den Bildern geführt
hat, ist den Bildern inhärent: Ihr Format hat mit der Körpergröße
des Malers zu tun und mit der Reichweite seiner oberen Extremitäten,
Herstellungsort und -zeit sind bekannt, Orte manchmal sogar als Bildtitel
festgehalten – und sie scheinen auch für die Wahl der Farben und Formen
nicht restlos irrelevant zu sein, schon deshalb nicht, weil sie für
die Innenwelt des Malers nicht irrelevant sind. |
lle
– oder doch fast alle – diese Bilder, die so rein und groß und selbstverständlich
wirken, bestehen aus mehreren Schichten von Farben, die übereinander
liegen, die sich in der Großform teils mehr, teils weniger überlagern
und so vordergründig verschiedene, miteinander verwandte Farben erzeugen,
hintergründig den Arbeiten Transparenz verleihen – fast, als seien
sie wie Hinterglasbilder von hinten beleuchtet. |
Bleistiftstriche,
auf der Grenze zum Immateriellen, trennen Farbflächen, aber verweisen
sie auch aufeinander. Alles Gestische ist zurückgenommen, aber es
ist nicht nicht vorhanden; schließlich sind die Bilder von Menschenhand
gefertigt und nicht vom Himmel gefallen. Der
Farbeindruck der Bilder insgesamt ist harmonisch, die Farben liegen im
Ton oft nahe beieinander, tönen sozusagen unisono, eine lebendige
Harmonie wie in der Musik, die alles andere als ein billiger Trost ist:
Es ist, als führten die Farben und Formen untereinander einen konstruktiven
und freundschaftlichen Dialog.
Bei der Farbwahl und –gestaltung
– und für die formale Gestaltung gilt das Gleiche – überwiegt
die Spontaneität bei weitem die Theorie. Hier liegt der Grund für
die ausdrucksfähige Mitteilsamkeit und Sinnlichkeit dieser malerischen
Arbeiten – und gewiss ein Unterschied zu manchen klassischen Ausprägungen
der europäischen Konkreten Kunst. |
o
sehr sich der Farbeindruck der Bilder für den Betrachter in den Vordergrund
schiebt, so sehr ist dennoch ihre formale Gestaltung gut ablesbar: farbige
Quadrate und Rechtecke in verschiedenen Ausprägungen. Durch die unterschiedliche
Größe und die Längs- wie Querparzellierung der Rechtecke
erscheint die Gesamtfläche oft kreuzförmig gegliedert, ein uraltes
geometrisches Aufteilungsangebot nützend und die Konnotation von Mythos
und Heiligkeit, die die Kreuzform (nicht nur für Christen) nun einmal
hat, nicht verschmähend. Die Formen – das macht ihre Besonderheit,
geradezu ihr Wesen aus – scheinen erst durch den Malprozess zustande gekommen.
Es sind also nicht etwa vorhandene Formen farblich aufeinander bezogen
worden, sondern des Prozess des Malens und des Übereinanderlegens
von Farbbahnen hat aus sich unterschiedlich gefärbte und untereinander
im Dialog stehende Formen entlassen. Fällt – etwa im Atelier – auch
einmal ein Blick auf die Rückseite der Bilder, so lassen sich neue
Betrachtungen zur Genese der Bilder anstellen. Die Rückseite zeigt
nämlich, anders als die Vorderseite, deutlich sichtbar eine straffe
Strukturierung der Bildfläche, eine genaue Ordnung von Flächen
und deren Teilen. Indem die Malvorgänge die vorhandene Ordnung mit
der Expressivität von Farben in Beziehung setzen, dämmen sie
gleichzeitig die drohende Statuarik der Ordnung ein. Was an der Struktur
pure Struktur ist, wird malend durch Farbe „aufgehoben“ – und das heißt
nicht: abgeschafft, sondern in eine sinnvolle und menschliche Beziehung
gebracht. |
Farbe
und Form sind eins – zumindest im Prinzip. Farbe ist in Form aufgelöst,
Form ist durch Farbe erschaffen; Struktur und Ausdruck befinden sich in
einer Balance. Die Bilder erhalten durch ihr dauerndes „Wandeln auf dem
Drahtseil“ zwischen Farbe und Form eine ganz unglaublich schwebende Leichtigkeit,
die sie auf die Betrachter zu übertragen vermögen. Gelingt der
Balanceakt, auch im Dialog zwischen Betrachter und Bild, so hat sich Malerei
selbst gefunden und kann ein eigenes Leben führen, ohne es von Ideen
oder Wissenschaften oder Gefühlen borgen zu müssen. „I am just
a painter“, sagt Clinton Storm oft, wenn er nach dem Sinn seiner Bilder
gefragt wird, und das ist weniger Ausdruck von Understatement als vielmehr
dafür, dass Malen, dies Ausbalancieren von Form und Farbe, sein genuines
Ausdrucksmittel ist, Vision also und nicht Rhetorik. Diese bildgewordene
Vision bietet begreifliches, sinnliches, visuelles Wohlgefallen für
die Betrachter. |
as
gar nicht durchweg finstere Mittelalter hat manches gewusst von der im
Menschen Wohlgefallen auslösende Kraft der Wahrheit und der Schönheit
(dem splendor veritatis et pulchritudinis), denn der wirkliche Grund für
diesen Wohlgefallen auslösenden Glanz, für das Leuchten
der Transzendenz in der Schönheit, in Farbe und Struktur, war das
Sichtbarwerden, die Epiphanie, von etwas Göttlichem – im Menschen
und in seiner geschichtlichen Erfahrung. |
Unverkennbar
stehen Clinton Storms Arbeiten im Kontext des sog. “Amerikanischen Abstrakten
Expressionismus“ , d. h. mit Traditionen, die von so bedeuten Malern wie
Mark Rothko, Barnett Newman, Ad Reinhart künstlerisch – und auch mit
mancherlei Texten – formuliert worden sind.. Clinton Storm bekennt sich
selbstbewusst zu den Einflüssen, die diese Maler auf ihn ausgeübt
haben und üben. Eine genauere Analyse solcher Einflüsse erbrächte
möglicherweise, dass das malerische Vorbild eher bei Rothko zu suchen
ist, während Reinhardts Anregungen eher den intellektuell-künstlerischen
Horizont und das Selbstverständnis als Maler betreffen. |
arüber
hinaus weist Clinton Storm hin auf Einflüsse seines Freundes Doug
Ohlson, eines in Europa allmählich erst bekannt werdenden Künstlers.
Nicht zu übersehen sind schließlich Querverbindungen zum Werk
der großen, in Europa trotz ihrer Beteiligung auf der Biennale 1997
in Venedig breiten Kreisen wenig bekannten Agnes Martin – bis hin zu den
Bleistiftlinien, die gelegentlich Farbflächen fein gegeneinander abschirmen
oder auch umgekehrt feine Überschritte markieren, um die farbigen
Flächen nicht formlos werden zu lassen. |
Der Hinweis
auf Traditionen ist Clinton Storm wichtig. Ebenso wichtig aber ist das
Augenmerk darauf, wie selbständige und überzeugende Eigenpositionen,
Eigenformulierungen Clinton Storm im Kontext der Mittel und Ideen dieser
Tradition gefunden hat: Er ist in diesem Rahmen den größten
Schritt hin zur reinen Farbmalerei gegangen, ohne deren Form- und Strukturvergessenheit
mitzuvollziehen – und ist deshalb ein amerikanischer abstrakter Expressionist
geblieben. |
ie
Entscheidung zum Anschluss an die künstlerischen Ideen der amerikanischen
abstrakten Expressionisten hat etwas Altmodisches und gerade deshalb Modernes,
heutigen Trends Widerstehendes an sich, das auch von Clinton Storms Bildern
abgestrahlt wird. Diese
Entscheidung ist eine Entscheidung für die Weiterführung einer
schon klassisch gewordenen Mal- und Denkschule der 50er und 60er Jahre,
die ihre Wurzeln wiederum im russischen Suprematismus etwa von Malewitsch,
aber auch in der mitteleuropäischen Konkreten Kunst der 20er und 30er
Jahre hat, die – aus Gründen, die uns schmerzlich bewusst sind – seit
den 40er Jahren durch die gleichen Künstler in den USA fortgesetzt
wurde. Gewissermaßen verbindet sowohl Künstler wie Josef Albers
als auch die amerikanische abstrakt-expressionistische Malerei beides:
die künstlerisch-geistigen Ideen des Suprematismus von der Läuterung
der Kunst mit dem spielerischen Umgang mit Materialen, Formen und Gestaltungsideen,
dem Konkreten in der Kunst also. Trotz der Albers´schen Erkundungen
ist offenbar weder die Gestaltungsfülle noch die Aussagtiefe von aufeinander
bezogenen farbigen Rechtecken und Quadraten zu Ende gebracht. |
Mit der
Entscheidung zur abstrakt-expressiven Malerei verschließt sich ein
noch junger Maler dem herrschenden Trend, der derzeit allüberall in
der bildenden Kunst abzulesen ist: Gegenständlichkeit, Vermittlung
von Expressivität auch (auch!) über das Dargestellte (bis hin
zu verstörend affirmativem Neo-Realismus) scheint das Gebot der Stunde,
dazu ein wildexzessiver und oft formloser Umgang mit der Farbe. Abstraktion,
abstrakte Malerei ist derzeit, so scheint´s, tot, und auch die Ideen,
die mit ihr zusammenhängen, sind es – jedenfalls auf dem Kunstmarkt. |
abei
gehört die Abstraktion recht eigentlich zum Wesen der (bildenden)
Kunst, denn jede künstlerische Wiedergabe von etwas Dreidimensionalem
in zweidimensionaler Form ist notwendig abstrakt. Malerei, die mit nichts
als Linie, Fläche, Form umgeht, ist eine Form von „konkreter Malerei“
(ein Ausdruck, den auch Clinton Storm gelegentlich für seine Arbeit
verwendet) – auch dann, wenn sie nicht im engeren Sinn der klassischen
sog. „Konkreten Kunst“ zuzuweisen ist. Und dass die Malerei ihren Umgang
mit Linie, Fläche, Form und Farbe bewusst in den Dienst künstlerischer
und menschlicher Expressivität stellen, dass sie die Ausdruckshaftigkeit
von Farbe und Fläche nützen will, um in einen – sozusagen gegenstands-,
einen inhaltslosen, aber intensiven – Dialog mit der Ausdrucksfähigkeit
anderer Menschen treten zu können – die Entdeckung dieser künstlerischen
Möglichkeiten hat den Maler Clinton Storm hinausgeführt über
die Begrenzungen der „Konkreten Kunst“. |
Die Anbahnung
von Dialogen, hergestellt aus dem malerischen Pendeln zwischen ungegenständlicher
Ausdrucksfähigkeit und spielerischer Neuordnung von Farben und Formen
(und auch eine Vertauschung der Adjektive lässt Sinn erscheinen: hergestellt
aus dem malerischen Pendeln zwischen ernsthaft-spielerischer Ausdrucksfähigkeit
und abstrakter Neuordnung von Farben und Formen) – die malerische Anbahnung
derartiger Dialoge erfordert eine geistige Haltung des Malers solcher Bilder,
die eine Mischung darstellt aus Entdeckungslust und Kontemplation, aus
einer Vielfalt künstlerischer Impulse und empfangender Leere, also
eine Durchdringung von eher
asiatischen und eher europäischen Denkweisen, die für den amerikanischen
abstrakten Expressionismus typisch ist. Und für das, was vom Betrachter,
von der Betrachterin gefordert ist, giltdas gleiche: Sie sollen sich öffnen
für eine suchende Bewegung hin auf visuelle Schärfe und komplexe
Eindeutigkeit. Das erfordert genaues Hinsehen und langsames Sich-dem-Bild-Öffnen,
also eine ausbalancierte Kombination von Aktion und Kontemplation. Die
Bilder Clinton Storms, die aus der Kraft der Stille und der Klarheit leben,
wecken in dem, der sich auf den gespannten Dialog mit ihnen einlasst, geistige
Kräfte, Konzentration, Geduld, Genauigkeit und Hellsichtigkeit. |
Die ruhigen, ausdrucksstarken
Bilder von Clinton Storm haben, dem ersten Augenschein zum Trotz, nichts
Statisches an sich, sind nicht entleerend leer. Vielmehr drücken sie
Kontinuität und Veränderung gleichzeitig aus – kaum merkliche
Veränderungen freilich, langsame und friedliche Metamorphose. Das
dafür benützte Stilmittel sind vor allem die zartesten Übergänge
an den Rändern der Farbfelder wie auch an den seitlichen Kanten der
Bildflächen, „Grenzerfahrungen“, die zeigen, dass die Farben und Formen
eine „Geschichte“, ihre „Räume“ haben – durch ihr Nacheinander, durch
Schichtung und Überlagerung. Dass es nicht ein Nacheinander von „Geschichten“
bleibt, sondern um „mehr als alles“ geht, um neue Ganzheiten, die aus Überlagerungen
und Schichtungen gebildet sind, diese Erfahrungen stellen sich beim Dialog
zwischen Betrachter und Bildern ein. |
ennoch
vermögen die Bilder auch, ihre komplexen Geschichten zu „erzählen“:
bei konzentriertem Hinschauen, wenn sich das Auge gewissermaßen Quadratzentimeter
für Quadratzentimeter das Bild erwandert und erschließt. Dann
entdeckt es mitten in den farbigen Flächen farbliche Andeutungen für
die darunter liegenden Schichten. Wie durch ein Fenster mit Gardine blickt
das Auge durch die obere Schicht auf die untere, stößt auf das
Vor- und Innenleben des Bildes. Da gibt es also in diesen großen
und großzügigen Bildern sozusagen auch ein Mikrokosmos zu erkunden.
Allerdings erzählen die Bilder nicht „etwas“ durch „Gestus“ und „Ausdruck“,
sondern sich, die Geschichte ihrer Farben und Formen – in einer Ausstellung
eventuell auch untereinander: die Geschichte der Farben und Formen der
verschiedenen Bilder, nebeneinander, gegenüber – und in Verbindung
mit der Geschichte, auch mit der visuellen Geschichte der Betrachter. Die
Qualität dieser Dialoge hängt nicht nur von der Qualität
der Bilder ab... |
Stille, Kraft, gefülltes
(nicht lähmendes) Schweigen, bewegte Ruhe und Geist – diese Bezüge
verdanken die Arbeiten eher Impulsen östlicher Kulturen. Aber es eignet
den Bildern auch eine existentiell-metaphysische Unruhe, ein Drang nach
vorne, eine innere Geschichtlichkeit. Den Kirchenvater und Philosophen
Augustinus paraphrasierend könnte man sagen: „Unruhig ist unser Herz“
(das herz des Malers, das Herz jedes Menschen), „bis es ruht im letzten
Absoluten (Bild). Diese innere Geschichtlichkeit, die sich eher westlichen
ästhetischen (und philosophisch-theologischen) Traditionen. |
Auch
der Gefahr einer falschen Ästhetisierung aller Lebensverhältnisse,
als könne die Erfahrung von Schönheit unsere Lebenserfahrung
überflüssig machen, ersetzen – dieser Gefahr entgehen die Bilder.
Sie zeugen nämlich auch von den Brüchen unseres Lebens, von der
nur selten gelingenden Balance zwischen Farbe und Form, Alltag und Hoffnung,
Gelingen uns Versagen. Ihre Bewebung zwischen Struktur und Farbe ist die
Bewebung unseres Lebens, eine Bewebung, die auch Schweigen auszulösen
vermag. Die Bilder geben den Blick frei auf die “Löcher“ , die Kunst
nach Th. W. Adorno (Minima Moralia Nr. 30) haben muss, will sie nicht durch
Hyperästhetisierung die vielen Unmenschlichkeiten unserer Geschichte(n)
verlogen zudecken, die Schreie der Opfer unhörbar machen. |
linton
Storms langsame und tiefe Bilder können Gegengewichte bilden gegen
exzessive Vergewaltigung der Augen und Sinne des Menschen, gegen die Unübersichtlichkeit
unserer Verhältnisse, auch gegen das Verschwinden von menschlicher
Zeit durch Beschleunigung. Ihre Präsenz, die Ruhe heischt, ihr In-sich-Ruhen
fordert von uns Verweilenkönnen, “Verweilzeit“ (M. Theunissen). Insofern
eignet den Bildern auch etwas Subversives, unserer gängigen Erfahrung
und Lebensweise Widerständiges: Stille ist die Gewalt, die sie gegen
das Chaos in uns und um uns aufbieten. |
Gleichzeitig
sucht jedes Bild das nächste, den nächsten Balance-Akt unter
neuen Farb- und Formbedingungen, in dem das vorhergehende Bild dann, mit
G.W.F Hegel gesprochen, aufgehoben wird. So ergibt sich ein Prozess, eine
eschatologische Prozession von Bildern – hin auf das absolute und letzte
Bild, auf das absolute schlechthin, vielleicht auch auf den Absoluten.
Wie die Kunst, so das Leben – und umgekehrt. |
Die Idee des restlos durch
seine Materialität präsenten Bildes und der restlosen Bestimmung
des Menschen durch subtile und sublime Sinneswahrnehmung hat etwas Religiös-Theologisches
an sich; Clinton Storm bringt es in diesem Zusammenhang manchmal selbst
zur Sprache. Denn hier, angesichts der Gleichzeitigkeit von Präsenz
und Aufhebung, der Wirklichkeit von Dauer und ihrer gleichzeitigen vorsichtigen
Infragestellung, über die dieser Maler sich seine malerischen Gedanken
macht, hier geht es um Ganze, um Leben, Sinn, Tod, Glauben und Hoffnung
wider alle Hoffnung. Das Menschliche und damit auch das Tröstliche
an diesen Bildern ist, dass sie angesichts solcher existentieller Grund-Ängste
und Hoffnungen Suchbilder sind, Weg-Bilder, Bilder, die uns begleiten.
Wenigstens ein Stück weit sind die Bilder der Weg – für den Maler
wie für ihre Betrachter. |
linton
Storms Bilder – ihre und seine malerisch-künstlerischen und geistigen
Qualitäten sind wahrlich nicht gering, der Umgang mit ihnen ist ein
Prozess von höchster menschlicher und ästhetischer Lust.
Und das hängt gewiss
damit zusammen, dass die ästhetischen Qualitäten und Dialog-Anstöße
dieser Bilder bis in menschlich-existentielle Tiefen zu reichen scheinen,
dass Kunst, das lernt man dabei, das ganze Leben sein kann. |
Den innigen Zusammenhang
von Kunst und Leben hat der Maler Ad Reinhardt 1962 in einer Weise ausgedrückt,
wie sie auch auf Clinton Storms Arbeiten zutrifft:
“ Der eine Maßstab
in der Kunst ist Einheit und Schönheit, Richtigkeit und Reinheit,
Abstraktheit und Vergänglichkeit. “ |
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Ausstellung
Schloß Wiepersdorf April 1999 |
"BLUE" Bilder einer Ausstellung
Nicola
Kuhn
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Die Ausstellung mit Arbeiten
Clinton Storms, die 1998 während seines Aufenthalts im Künstlerhaus
Schloß Wiepersdorf entstanden, heißt einfach "Blue". Prompt
stellen sich Assoziationen ein: an den gleichnamigen Film des britischen
Filmemachers Derek Jarman, dessen letztes Filmprojekt nichts als diese
Farbe zeigte, das einzige, was er durch seine krankheitsbedingte Erblindung
noch wahrnehmen konnte. Aber auch Assoziationen an das programmatische
Blau der Romantiker, die Farbe der Sehnsucht, das Nächtlichen, der
Unendlichkeit. Hier in Wiepersdorf hatten sie mit Achim und Bettina von
Arnim einen ihrer wichtigsten Vorposten. |
All
diese Gedankenverbindungen sind ein bisschen richtig und doch falsch. Betrachtet
man
Clinton Storms Bilder, so nimmt man eine eigene Welt wahr. Am Ende ist
es die eigene Welt jedes einzelnen, die er in diesen Bildern entdeckt,
denn abstrakte Gemälde und so auch die von Clinton Storm wirken wie
Spiegel: Man erkennt in ihnen nur das, was man selber in der Lage zu sehen
ist. Mit ihrem lakonischen Titel "Blue" lädt diese Ausstellung ganz
einfach zum Schauen ein. Ihre Bilder vermögen sich wie Fenster zu
öffnen - einbeliebiges Motiv in der romantischen Malerei -, das Blau
vermag von allen Facetten des Lebens zu berichten, so wie es auch Derek
Jarman mit seinem letzten Film gelungen ist. |
ie
Ausstellung zeigt nicht mehr, aber auch nicht weniger als sechs quadratische
Gemälde, 185 mal 185 Zentimeter groß, dazu drei kleinformatige
Werke, die wie das konzentrierte Ergebnis des in den großen Bildern
Untersuchten erscheinen. Und doch ist jede Arbeit eine in sich geschlossene
Abhandlung auf das Blau. Fragt man Clinton Storm, der sich in den letzten
Jahren der Untersuchung der Primärfarben widmete, warum er sich gerade
in Wiepersdorf auf diese Farbe konzentriert hat, so erhält man recht
ausweichende Antworten. Zum Beispiel diese: dass es ihm gar nicht ums Blau,
sondern um das Rot gegangen sei. Und richtig: betrachtet man die Bilder
genauer, so ist in jedem eine Auseinandersetzung mit der Farbe Rot zu entdecken.
Das Rot gibt den Bildern Struktur, organisiert sie räumlich durch
Balken und Streifen, die der Maler im freien Duktus auf die Leinwand gebracht
hat. An diesem Punkt begegnen sich die rationale Untersuchung eines Farbraums,
wie sie Josef Albers mit seinen Quadraten immer wieder durchexerziert hat
, mit der bewusst individuellen Pinselführung des Malers. DAs Bild
beginnt in sich zu kommunizieren, ja zu vibrieren: zwischen Vordergrund
und Hintergrund, zwischen Oberfläche und räumlicher Tiefe. |
linton
Storm bewegt sich hier bewusst in einer Tradition, der Tradition des amerikanischen
abstrakten Expressionismus. Es ist die Sprache der bedeutendsten Maler
der Vereinigten Staaten - Mark Rothko, Barnett Neuman, Ad Reinhardt -,
die jedoch aus Europa durch die emigrierten Künstler gespeist wurde.
Nicht von ungefähr beschäftigt sich Storm deshalb auch mit Richard
Paul Lohse, der mit seinen geometrischen Farbfelduntersuchungen richtungsweisend
für die konkrete Malerei in der Schweiz wurde. Lohses Werk steht in
engem Zusammenhang mit dem Bauhaus, dessen Ideen von Farbe und Form auch
durch Josef Albers' Emigration 1933 in die USA exportiert wurde. In den
Vereinigten Staaten stoßen seine Exerzitien des Quadrats auf die
Weite des Landes. In den Gemälden seiner amerikanischen Schüler
beginnen sich die Farbfelder aus ihren geometrischen Korsetts zu befreien,
die Formate vergrößern sich. Vor sechs Jahren kam Clinton Storm
nach Deutschland, von einer unbestimmten Sehnsucht nach Europa getragen,
wie er sagt. Mit seinen nun hier gemalten Bildern in der Tradition des
abstrakten Expressionismus scheint sich künstlerisch ein Kreis zu
schließen. |
uch
nach Ende der Ausstellung "Blue" werden in Wiepersdorf zwei Bilder der
hier entstandenen Serie weiterhin zu sehen sein. Sie gehören zu einem
Triptychon und hängen im Gartensaal des Schlosses. Das dritte Bild
dieses Triptychons ist mit dem iranischen Schriftsteller Mahmud Doulatabadi,
der sich zeitgleich mit Clinton Storm als Stipendiat in Wiepersdorf aufhielt,
nach Teheran gereist. Von dort hält es die Verbindung aufrecht zu
seinen in Wiepersdorf verbliebenen Geschwistern und erinnert an eine hier
begonnene Freundschaft zwischen dem iranischen Schriftsteller und dem amerikanischen
Maler. Vor allem erinnert es an den Beginn einer inhaltlichen, ja politischen
Aufladung der Bilder, die ansonsten so ganz sich selbst zu genügen
scheinen. Das verwundert kaum, denn in den Gesprächen mit dem iranischen
Autor der in seinen Büchern Gefangenschaft und politische Unterdrückung
in seiner Heimat verarbeitet, kam immer wieder auf die Frage nach der Aussage,
der Bedeutung abstrakter Gemälde auf. |
iese
Fragen stellte sich Clinton Storm mehr denn je gerade während der
Präsentation von "Blue" angesichts der täglich gezeigten quälenden
Bilder aus dem Kosovo: Wie kann man noch malen angesichts dieses Krieges,
wie sich einfach dem Blau, der Abstraktion hingeben? Die Antwort steckt
in den Gemälden selbst. Sie können ein Gegenbild zu diesem Grauen
sein, einen Ort der Freiheit bezeichnen. In ihrer Kontemplativität
erscheinen sie wie jene Klostergemeinschaften, die für den Frieden
beten. Was sie bewirken, weiß man nicht, aber ohne sie wäre
die Welt ärmer. In diesem Sinne schafft Clinton Storm eine Gegenkultur
zu den aktuellen Ereignissen, wofür ihm gerade in diesen Tagen zu
danken ist. |
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