Hann Trier (1915-1999) ist zurück in Berlin. Die Ausstellung "Berlin-Date" in der Zellermayer Galerie Berlin steht ganz im Zeichen der "Lyrischen Abstraktion".
Das Aquarell nimmt im Bildwerk Hann Triers eine besondere
Stellung ein. Die Leichtigkeit der Farbe, ihr Verlaufen, Zerlaufen auf dem Papier. Das Ausbreiten, Aufquellen und Verstummen.
Hier wird Farbe in ihrer Bewegung besonders deutlich. Die sich ausbreitende Feuchtigkeit, die vom Malgrund, dem Papier,
aufgenommen wird, aufgesogen. Darüber der "Tanz der Pinsel". Als Steigerung dazu die Monotypie, bei der er die feuchte Farbe
auf eine Platte aufträgt und das Papier aufdrückt. Die Farbe quillt durch die Kraft des Aufdrückens, Reibens und Verschiebens
und wird so selbst zu Bewegung.
Der Katalog zeigt eine Auswahl der Aquarelle, Monotypien und
Gouachen Hann Triers von seinem Frühwerk der ersten Nachkriegsjahre bis wenige Jahre vor seinem Tod. Es beginnt mit der Monotypie
"Zu Sartre: Die Fliegen" von 1947, noch in der kubistischen Bildsprache nach Juan Gris gemalt. Jean-Paul Sartre hatte sein
Theaterstück "Les Mouches" als Protest gegen die deutsche Besatzung Frankreichs und das Vichy Regime geschrieben. "Les Mouches"
wurde 1943 im bereits besetzten Paris uraufgeführt, aber von den Besatzern nicht als "Pièce de Résistance" erkannt. Sartres Umgang
mit dem Freiheitsbegriff findet sich auch in seinem ebenfalls 1943 erschienenen Hauptwerk "Das Sein und das Nichts". Die deutsche
Erstaufführung fand am 7. November 1947 an den Städtischen Bühnen des noch in Trümmern liegenden Düsseldorf statt, kurz danach
malte Hann Trier in seinem Dachatelier in der Burg Bornheim bei Bonn das Bild. Er erinnert sich an diesen ersten Winter, nachdem er,
geflüchtet aus dem von der Roten Armee besetzten Thüringen und der ihm und seiner Familie zugewiesenen Barackenkammern, sein
ungeheiztes Atelier in der Burg beziehen konnte: "Es war so kalt, dass das Wasser auf den Aquarellen zu Eisblumen gefror".
Trier, der schon als Kind ein verblüffendes zeichnerisches Talent entwickelt, wird 1915 in Kaiserswerth geboren. 1919, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, zieht die Familie
nach Köln, in einen, wie er sich erinnert, "Vorort mit Schrebergärten". Er ist elf, als die Mutter 1926 stirbt, sein Bruder sechs.
Er entwirft ihren Grabstein, der noch heute zu sehen ist. Auch sein Vater und die spätere, ihn in seinem Talent fördernde
Stiefmutter sind dort beigesetzt.
1929 ziehen sie in das Haus der "neuen Mutter". Er zeichnet den
Blick aus dem Fenster über die Hausdächer und das gegenüberliegende Gefängnis. Die Wachleute in ihren Uniformen, die vergitterten
Fenster. Er besucht das nahegelegene Museum, sieht dort die "Progressiven", aber auch Nolde, Chagall, Van Gogh, Gauguin, Kirchner
und Picasso. Er malt täglich und beschäftigt sich dazu mit dem phonetischen Klang der Sprachen. 1933, ein Jahr vor dem Beginn
seines Studiums, kommt er als Austauschschüler nach Frankreich, wo er in die Bilder von Cézanne und die französische Lyrik
eintaucht.
Hann Trier beginnt nach der halbjährlichen studentischen
"Arbeitspflicht" im Oktober 1934 ein Studium an der Staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf. Jeden Morgen fährt er um 7.20 mit
dem Personenzug nach Düsseldorf, um pünktlich um 9 Uhr in der Akademie zu sein. Die Eltern erlauben es nur, weil er verspricht,
Kunsterzieher zu werden. Die Welt legt sich, noch verwundet vom Ersten Weltkrieg, in zerbrechenden Strukturen um ihn herum. Um den
19-jährigen verträumten jungen Maler, der sich in seine Farben und romantischen Gedichtbände zurückzieht und abwendet von dem
Grauen, das um ihn herum Gestalt annimmt. "So überraschte mich das Dritte Reich als Träumer zwischen Rilke, Hofmannsthal, Hölderlin,
George und Beaudelaire", schreibt er später.
In seinen Aufzeichnungen findet sich ein Bericht von der Examens- Vorbereitungsklasse Bindel in Düsseldorf, in der er auch Bernard Schultze kennenlernt, sowie von dem Examen 1938 in Berlin. Davon, dass ihn die gelehrte Kunst an der Akademie nicht mehr berührt, dass er danach brennt, in eine neue Richtung zu
gehen. Von den Bücherverbrennungen seiner geliebten und verehrten Schriftsteller und Dichter 1938 in Berlin findet sich ebenso wenig
eine Erwähnung, wie von den in den November-Pogromen zerstörten jüdischen Geschäften und den Deportationen. Die Kunst als
Rückzugsort.
1935 lernt er den Maler Faßbender kennen, liest Kandinskys "Punkt und Linie zur Fläche" und reist zu seinem Vetter Josef Trier, der ebenfalls Maler ist, nach Ascona. Er lernt die Witwe von Franz Marc kennen und sieht bei ihr Skizzen und Aquarelle. Bei seiner ersten
Italienreise ist er fasziniert von "der schöpferischen Geistesgegenwart der Pinselsprache" der Freskenzyklen und in Venedig
erschüttert eine Tintoretto-Ausstellung nachhaltig seinen "Glauben an die heilige Fläche der Moderne".
Den Zweiten Weltkrieg übersteht er zum großen Teil als
technischer Zeichner, das letzte Kriegsjahr, in dem sogar Kinder eingezogen werden, weil es an Soldaten fehlt, verbringt er an
der Ostfront. In seinen Berichten und Zeichnungen wird diese Zeit ausgespart. Wie in einer Ohnmacht, aus der man in einen Nebel
hinein erwacht.
Der Künstlerzirkel aus den Akademietagen ist verstreut. Aus den
Malern und Schriftstellern, die aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft kommen, bildet sich die Gruppe 47. Die Gruppe um Hann
Trier findet sich, ebenfalls 1947, auf dem Land zwischen Köln und Bonn in Alfter, in der Nähe von Burg Bornheim.
Später spricht er von den "Alfterern", eigentlich nie von der oft
zitierten "Donnerstagsgesellschaft", die nur eine Reihe von Veranstaltungen organisiert die vor allem aus Vorträgen und Aufführungen
aus den Bereichen Politik, Theater und Musik bestehen und kaum aus Kunst. Nur einmal organisieren die an der Gruppe beteiligten
Maler mit dem "Tag der abstrakten Kunst" eine weit über Alfter hinaus wirkende Ausstellung. Er erinnert sich: "In der Zeit
bildete sich der Künstlerkreis "Donnerstagsgesellschaft" , bzw. "Alfterer-Gruppe" in Alfter, die Trümmerstädte Bonn und Köln boten
ja nicht viel. Wir nannten uns zunächst "Donnerstagsgesellschaft", weil wir uns donnerstags fast nie trafen, gedacht als Zentrum für
politische und künstlerische Veranstaltungen, um mitten auf dem Land die Stadt wiederherzustellen. Der erste Vortrag hieß
"Trost aus Bildern" von Professor Förster. Wir wollten uns intensiv mit dem auseinandersetzen, was vom Surrealismus, der großen
spirituellen Bewegung zwischen den Kriegen, übrig geblieben war und gültig, daran anzuknüpfen. Wie Breton, Eluard oder Picasso mit
ihren Schriften und Manifesten. Diese politisch-literarische künstlerische Bewegung. So organisierten wir Maler 1947 den Tag der
abstrakten Kunst."
Aus diesem für die Neuorientierung der deutschen
Nachkriegsmalerei so wichtigen Jahr stammen viele der abgebildeten Aquarelle, die noch von bestehenden Formen ausgehen und diese
abstrahieren. Ab 1950 wird die Form zunehmend aus dem Bild gedrängt, ersetzt durch die Darstellung der Malbewegung selbst in dem
Versuch, das Prinzip von Tempo und Beschleunigung darzustellen. Dabei wird die Linie, die für Trier Energie und Bewegung darstellt,
bald zum wichtigen Bildelement. Es ist eine den Malprozess reflektierende Malweise. Nicht die Formbeschreibung, die Abbildung steht
im Vordergrund, sondern die Darstellung der Bewegung selbst.
Er möchte die surrealistische Idee des "Sans de Raison",
die Spontaneität der Handbewegungen sichtbar machen und entwickelt das beidhändige Malen: "Malen heißt in zusammenhängendem Ablauf
auf überschaubarer Fläche tanzen. Im Fließen, im Staccato, im Anhalten. In der Wiederkehr der Pinselschläge tanzt der Rhythmus.
Ich springe in ihn hinein, indem ich mit den Pinseln so tanze, dass der Tanz sichtbar wird."
Die Monotypie "Nach Velasquez" zeigt das
gewaltsame Eindringen des spanischen Eroberers Diego Velásquez in die "Neue Welt". Auch die anderen Bildmotive aus der Zeit der
späten Vierzigerjahre kommen aus dem Bereich der mittelalterlichen und antiken Geschichte, wie auch aus dem noch als "ursprünglich"
empfundenen Volksgut der
Sagen. So auch "Das Pferd", das als trojanisches Pferd gesehen werden kann, oder "Das Untier", das sich wie ein Drache aufbäumt und
doch in seiner Formenästhetik seltsam gezähmt wirkt.
1950 fasziniert ihn der Zauberer Alexander Adrion, der mit
"Prestidigitation" zauberte, mit Geschwindigkeit ohne Magie. Für Trier ist dies ein wichtiges Merkmal der neuen Malerei. Trier
entwirft ein Plakat mit der Aufschrift: "Nur der Schein trügt nicht". In den Vorführungen des Zauberers spielt der junge Stockhausen
Klavier.
1951 hat Trier seine zweite Ausstellung in der Galerie
"Der Spiegel". Die Ausstellung ist ein künstlerischer Erfolg: "Endlich sah ich Zusammenhang bei mir selbst", aber er verkauft nichts.
Im Herbst 51 nimmt Trier an der Ausstellung im noch nicht fertig gebauten Kaufhof in Berlin teil. Die Bilder erregen Ärgernis beim
Publikum und wecken auf Grund der Form- und Farbgebung Angst vor dem Korea-Krieg. Trier schreibt, "da wurde deutlich, dass mit der
Zerstörung des Deutschen Reiches nicht alle kriegsauslösenden Faktoren abgeschaltet waren - eine Illusion, der wir uns gerne
hingaben."
Er verbringt einige Jahre in Kolumbien, wo er den Journalisten
Gabriel Garcia Marquéz kennenlernt und sich mit spanischen Volkstänzen beschäftigt. Es entstehen dynamische Formen auf der Fläche,
erste "Tanzbilder" mit Titeln von Tänzen wie Bambuco, Porro, Mapalé und Puya. Der Tanz mit dem Pinsel: "ich wollte flattern,
taumeln, schweben." Auch Instrumente werden Bild-Titel: Bongó I und II (Trommeln), Maraca (mit Steinen gefüllte Kürbisschale)
oder Guacharaca (drahtumwickeltes Holz für den Porro).
Trier schreibt über diese Zeit: "Ich kam an mit meinen Pulverfarben,
meinen gewohnten Pigmenten. Es gab in Kolumbien alle Zutaten für das Bindemittel Eitempera: Eier, gekochtes Leinöl und
Terpentin. Aber es gab kein Rohleinen. Nur Rohbaumwolle in einer Breite von 70 cm. Daher hatte das größte Format der
kolumbianischen Bilder nie mehr als diese Breite."
Wieder zurück in Deutschland schreibt er: "Bilder entstehen
bewegt, Bilder ereilen uns. Ich male nie was ich sehe, doch immer sehe ich, was ich male".
Und später über das Malen selbst: Das Bild ist die Tätigkeit
des Malers auf begrenzter Fläche. Unter Klang verstehe ich einen Farbton, der sichtbar zwischen seinen warmen und kalten Qualitäten
vibriert und darin seinen Ort sucht, ertastet, erträumt. Wie ein zwischen Rot und Grün schwingender Ockerton durch helles Blau
gebracht wird. Reine Farbe bricht ein in einen verschmutzten Ton, etwa in ein Graugemisch. Die Farbe ist nicht da, sie wird erst
gemalt. Als Maler muss ich sie wählen, versuchen, mischen, auftragen, verändern, verstärken, aushalten. Ich kann sie als Paste
spachteln, kurz machen und in Brocken aufsetzen, pastos oder dünn streichen, stricheln, mit dem Lappen oder dem Finger auftragen
oder auch transparent auftragen und laufenlassen.
Ich muss anfangen und mich und das Ganze durch die ersten
Striche, Hiebe, Flecken in Bewegung setzen. Die Hand bildet den Kontakt zur Malfläche. Ich arbeite mit beiden Händen. Ich bin so
doppelhändig, dass ich mich nie recht entsinne, wann ich welche Hand nehme und habe bei der Arbeit immer mindestens zwei Pinsel in
den Händen. Seit 1954 verwende ich zunehmend beide Hände gleichzeitig, meist so, dass die Hände von der Körpermitte her unisono
weggehen und dahin wieder zurückkehren. Dieser Ausdrucksgestus beschleunigt oder verlangsamt sich und führt zu einer Lineatur auf
der Fläche, das Verfahren konstruiert Flächenbewegung. Das Wogen, der Strudel, der Wirbel aller Bewegungen und Gegenrichtungen, die
Intensität. Die Bewegung ist das Zwiegespräch zwischen dem Maler und seiner Fläche.
Die Fläche, die ich verändert habe, verändert auch mich. Sie wehrt
sich, versucht zu widerstehen, schlägt mir den Pinsel aus der Hand, das Bild drängt mich hinaus. Ein Bild ist Malen im Zustand der
Vergangenheit. Die Verselbstständigung der Fläche ist stetig. Der erste Hieb, den ich der Fläche versetze, ist selbst Beschleunigung
zu unbewegtem Grund. Gleichzeitig markiert er den Ort, zu dem die übrige Fläche ununterschiedener Rest ist. Ein Konzert der
Verdichtungen. In der Wiederkehr der Pinselschläge tanzt der Rhythmus."
Die eigene Bildsprache Hann Triers ist auf den Aquarellen
von 1956 zu sehen, die für die Stilistik des "Informel" stehen, die nicht mehr von bestehenden Formen abstrahierte Malweise,
sondern das Erfoschen der Farben und Linien, das sich Hineingeben in die Malerei, das spontane Kunstwerk.
Drei Jahre später nimmt Hann Trier an der documenta II teil,
die eine hitzige Diskussion über die Kunst selbst und ihre Aufgabe auslöst. Auf der einen Seite steht die abstrakte Kunst für die
Befreiung des Künstlers und der Kunst aus der Vergangenheit und damit aus dem Krieg und den Verkrustungen der Gesellschaft, die zu
diesem Krieg geführt haben. Auf der anderen Seite wird gerade die Abstraktion als "Vergewaltigung der Natur" und "Unmenschlichkeit"
gesehen. Henri Nannen, Herausgeber des "Stern" schreibt damals in seiner Verteidigung der gegenständlichen Darstellung in der
Malerei: "Wer anders als die Kunst könnte in dieser entgötterten und entmenschlichten Welt wieder eine Werteordnung schaffen?"
Und nur Adorno, der, wie er vorab erklärte, "sich mit der
Sache der modernen Kunst in ihrer extremsten Form identifiziere", warnte vor einer unreflektierten Betrachtung auch der Befürworter
der Abstrakten und einer "vorschnellen, scheinhaften Harmonisierung gesellschaftlicher Widersprüche".
Ab ca. 1961 vollzieht sich der Malvorgang bei Hann Trier
achsenorientiert. Es entstehen symmetrisch angelegte Kompositionen. In den Siebzigerjahren werden die Pinsel breiterund die Linien
weicher. Trier schreibt 1973: "Ich drücke nichts aus. Ich übe. Ich wende mich von innen nach außen, aber ich kenne mich nicht
auswendig. Meine Arbeit war lange Zeit getragen von einer mit beiden Händen gleichzeitig operierenden Pinselschrift. Zunächst als
Abenteuer, dann als Tanz. Dabei fesselte mich zunehmend die Annäherung der Helligkeitswerte der Farben. Malen ist für mich ein
innerer Monolog."
Die Malerei Hann Triers kann als ein sich an Deutschland
Auseinandersetzen gelesen werden. Nicht wie bei seinem Schüler Baselitz konkret wie in den Hitlerbildern, sondern noch vorsichtig,
ertastend - abstrakt, informel. Wie ein vorsichtiges Streichen über eine kaum verheilte Wunde. Ein sich Vertiefen, Vergraben in
den Bildern. Und doch ein Abstoßen, Wegstoßen des Betrachters an der Oberfläche, den Wortgebilden, den zeichnerischen Linien.
Bewegung ist auch flüchtig in ihrem Sein, sie mag das Festhalten nicht. Ein Seelentanz, der vom sich Wegträumen und von Verletztheit
zeugt.
Ende der 80er Jahre schreibt er: "Nimm einen Spachtel,
zerschlage das Ei, leg Deine Pinsel zurecht. Bereite die Farben vor und versuche sie miteinander. Mach Dir nichts draus, wenn die
Hand zittert oder der Pinsel kleckst. Bald wird im Malen der Rhythmus einfallen der Herzhand und Kopfauge auf den Weg bringt."
Und schließlich 1999, im Jahr seines Todes: "Ein Maler ist
einer, der immer malt".
ZELLERMAYER Galerie Berlin 2009
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